Ich bin beinahe blind. Zwar habe ich jetzt eine Office Brille, doch ist diese bis ca. 1m scharf - was dahinter ist, verschwimmt im Unscharfen. Meine Gleitsichtbrille bekommt neue Gläser. Genauer: Bekam neue Gläser. Beim Richten während der Uebergabe machte es *knacks*, sie musste zurück in die Werkstatt und ich drücke der Stiftin die Daumen, dass das Donnerwetter von der Chefin nicht allzu gross war. Unter diesen Umständen Feuerwerk zu gucken erscheint mir wenig sinnvoll, auch wenn coronabedingt erst nach vier Jahren wieder ein Züri Fäscht stattfindet
Obwohl ich - der neuen Officebrille einen harten Einsatz gebend - am Freitagabend viel zu spät aus dem Büro krieche, entschliesse ich mich dennoch, den Berg hochzugehen. Vielleicht kann mein Fotoapparat fotografieren, was ich nicht wirklich sehe? Ich packe Stativ und 500er Spiegel in den Rucksack.
Love the Life von Antonio Parente
Nachdem die Bilder am Freitagabend erstaunlich gut wurden (ja, ich sehe den Monitor knackscharf), werde ich etwas mutiger und ziehe am Samstagabend in die Stadt. Dieses mal das 35er auf der Kamera und die Idee, für einmal direkt am See, „von unten“ Bilder zu machen. Ich bin erschlagen von den vielen Menschen, das muss mehr als eine Million Zuschauer sein. Da ich auf dem Weg und am See keine 20cm Luft um mich habe, spielt das fehlende Sehen in die Weite keine Rolle.
Klassik von Joachim Berner
Viel länger möchte ich nicht im Chaos bleiben und suche mir einen ruhigen Ausweg. In meiner Stadtwohnung gibt es Anti Brumm, frisches Wasser und das 70-210er, danach fahre ich erneut auf den Berg. Das 500er war schick, aber ich möchte auch noch das grosse Finale einfangen. Auch hier vor Ort hat es Menschen. Viele Menschen. Das letzte mal war ich mutterseelenalleine. Einer, vielleicht Anfangs 20, steuert geradewegs auf mich zu und fragt mich, was das dunkelrote, leuchtende Ding über dem Berg sei. Es kann zwar offensichtlich Handies bedienen, hat aber noch nie einen Mondaufgang erlebt.
Best of Pop-Rock von Joachim Berner
Die eine Kamerabatterie purzelt bei diesem Einsatz in die Landschaft, nach der Show suche ich auf den Knien und mit Handy Taschenlampe sicher eine halbe Stunde danach. Als ich aufgebe, liegt sie ganz unschuldig vor meinem linken Schuh. Gut so, im Gegensatz zu dem Objektivdeckel, den ich einmal hier verloren habe, gäbe der Lithium-Polymer-Akku doch ein ordentliches Feuerwerk, wenn der Rasenmäher darüberfährt.
Ich bin fasziniert von den Bildern. Sie sind qualitativ auf einer ganz anderen Ebende als alle Feuerwerksbilder, die ich bisher gemacht habe. Ist es die „neue“ Kamera? Oder das Wissen aus der Fotoschule? Oder war das Geheimnis, eben etwas zu fotografieren, was ich nicht wirklich gesehen habe? Ich erinnere mich dumpf an eine Geschichte von einem blinden Fotografen, die in meiner Jugend die Runde machte…