Eine Stimme sprach aus dem Dunkel: „Lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen.“ Ich lächelte und war froh und es kam schlimmer.
Vor einem halben Jahr hoffte ich, dass zumindest diese Zeit etwas ordentlicher abläuft. Pustekuchen. Dieses Jahr war wohl die chaotischste und belastendste Zeit, die ich je hatte. Entsprechend bin ich froh, gerade einmal ein paar ruhige Tage zu haben, einfach zu schlafen und nichts zu tun.
Der Juli war warm, die Menschen zog es nach draussen - unsere Epidemologen warnten und verschafften sich Gehör, so kam es zu der generellen Maskenpflicht im Zug. Für mich der Moment, wo mein Bart weg musste und ich meinen Profilbildern nicht mehr glich. Sehr angespannt versuchte ich die „Normalität“ zu leben, was mir dank einigen Kundenbesuchen bisweilen auch gelang. In Hinterkopf war aber doch der baldige Start meiner Fotoschule, das Warten auf eine neue Kamera (ich traute der alten nicht mehr 100% und das ist mir doch ein Bedürfnis in der Schule), die Unsicherheit, ob ich parallel verandtschaftliche Pflichten bekommen könnte. Oft war es mir zu viel und ich suchte nach dem UFO, das mich auf meinen Heimatplaneten zurückbringt.
Im August war es dann so weit - meine Mutter machte ihren letzten Atemzug und eine Woche später sass ich nach Jahren wieder einmal in einer Schule.
Es gibt Menschen, die leiden noch bedeutend mehr unter dieser verrückten Zeit - wenigstens durften sie zu Beginn des Septembers eine kleine Chilbi im Albisgüetli ausrichten. Knapp zwei Wochen später war ich erneut in der Schule, am ersten Abend gab es einen Ausflug in den Fotoladen, um meine neue Kamera abzuholen. Ein paar Unsicherheiten weniger.
Der Oktober krempelte dann erneut alles um. Noch Mitte Monat war ich in Biel für die dritte Woche Schule, stand stellenweise um vier auf, um die Morgenstimmung ebenda einfangen zu können. Zurück aus dieser Woche das erste Wochenende mit Arbeit - Umstellen auf Home Office, Absagen aller Kundentermine folgend den neuen Anweisungen. Ende Monat ist es wundervolles Wetter draussen und ich fange die Herbststimmung ein.
Im November Home Office und Home Schooling, erneut komme ich kaum mehr an die frische Luft. Ich renne virtuell meinen Kunden nach, versuche irgendwie meine Arbeit zu erledigen. Kämpfe jeden Tag darum, meine acht Stunden verrechenbare Arbeit zu leisten. Bisweilen sitze ich zehn, zwölf Stunden an meinem Computer, bin Abends komplett erledigt - die Energie ist weg, ich kann mich nicht erinnern, in gesundem Zustand jemals so wenig Reserven gehabt zu haben.
So rutsche ich in die Vorweihnachtszeit. Zu dem normalen Wahnsinn, angereichert durch den Corona Wahnsinn, kommt auch noch der bald-ist-Ende-Jahr-und-alles-muss-noch-fertig-werden Wahnsinn. Die letzte Woche Schule in diesem Jahr bietet noch etwas Abwechslung, auch wenn wir bis am Freitagabend nicht wussten, ob am Montag überhaupt etwas geht. Zu Heiligabend gibt es wenigstens das traditionelle Christbaumkugelselfie, danach vergrabe ich mich alleine in meiner Stadtwohnung und versuche mit Paraceptamol und Koffein die erwartete Migräne zu überstehen.
Die Aussichten auf 2021? Vielleicht werden wir mit viel Glück in einem Jahr eine Art „Normal“ sehen, vielleicht werden meine Erwartungen (ich lese zu viel) wahr und wir werden noch drei bis fünf Wellen sehen, welche gegen Mitte Jahrzehnt durch sind (ja, ich bin Pessimist, nur so kann ich mich angenehm überraschen lassen). Auf jeden Fall wird dieses „Normal“ fundamental anders sein als das, was wir bis 2019 hatten. Zu viele Dinge wurden mutwillig kaputtgemacht, zu viele Eindrücke und Aengste in den Menschen festgepflanzt.
Vorerst heisst es für mich Kopf runter und durch. Für mich war 2020 ein weiteres Jahr, in dem ich mit meiner Suche nach einer beruflichen Nische nicht vorwärtskam - es sind bald fünf Jahre, dass ich einen Job zurückliess, den ich mit Leidenschaft erledigte. Auch 2021 verspricht nicht besser zu werden. Ich kann froh sein, ein geregeltes Einkommen zu haben, auch wenn ich mich tagtäglich in den A*sch treten muss, um meine Arbeit zu machen. Der Plan B (etwas mit Fotografie) ist genauso auf Eis, ich sehe haufenweise Fotografen, die sich dieses Jahr irgendwie durchmogeln mussten, um überhaupt zu überleben.
Alles ein bisschen schwierig.
Immerhin, auf mich warten weitere 6 Monate Schule - einzelne Wochen, die mich motivieren, für die ich aktuell alles gebe, die mich mit Freude erfüllen. Ich lerne unglaublich viel, probiere aus, mache Bilder. Zumindest diesen Teil meiner Neujahrsvorsätze habe ich erfüllt