Heute sind es 10 Jahre, dass ich mitten in einem kalten Serverraum die SMS Ihre Bestellung Nr. 18 1681 ist abholbereit bekam. Auf dem Heimweg von Genève noch einen Abstecher in den Foto Bären (mittlerweile Geschichte…), kurzer Kampf gegen die Limiten der EC und Kreditkarte und ich hatte meine „grosse“ Kamera.
Der Weg zu ihr war ein langer Prozess - hatte ich doch in meinen 20ern angedacht, so richtig zu fotografieren, wenn ich alt bin. Mein Vater starb November 2011 mit 67 und ich sah, wie wenig Zeit ihm (und mir?) „im Alter“ bleiben könnte. So stellte ich Anfangs Jahr meine Hasselblad auf den Tresen meines Lehrgeschäftes, in dem ich die Kamera 1988 erwarb und plangte auf eine grosse Digiknipse. Ich schwankte zwischen der „roten“ 3D3 und der „gelben“ D800, war ich doch noch nicht durch Glas an ein System gebunden. Blicke ich ein Jahrzehnt später in meine Vitrine, so bin ich überzeugt, dass die Entscheidung damals richtig war.
Schnell wurden wir Freunde, sie begleitete mich vielleicht eine halbe Million Kilometer in in meinem Rucksack, wir machten gar einen Abstecher auf einen anderen Kontinenten. Nebst dem Reisen fanden wir bald Freude an Menschen und machten Reportagen wie Hochzeits Fotografie. Es wurde zum geflügelten Wort, dass ich meine Beste Freundin mitbringe.
Mittlerweile ist der Lack an diversen Stellen ab und durch Patina ersetzt, der Verschluss hat 66'589 Belichtungen hinter sich, das ursprüngliche 24-105 wurde nach Totalschaden ersetzt, die zweite Generation Batterien und Speicherkarten sind im Einsatz. Nicht lange her wurde ich gefragt, ob ich sie gegen dasselbe Modell mit weniger Belichtungen und vollständigem Lack eintauschen möchte - doch haben wir zwei so viel miteinander erlebt, dass ich mich nicht trennen mochte.
Im Rahmen meiner Fotoschule hat sie mit dem kleinen Pfupf einen Bruder bekommen, mit dem sie ein wildes Sammelsurium von Glas und ohne-Glas teilt. Der Altersunterschied zwischen den beiden ist zwar nur 8 1/2 Jahre, der technische Fortschritt nebst der rohen Verdoppelung der Pixel, drei Blenden zusätzlichem Belichtungsumfang und dem Wegfall des Spiegels enorm. Trotz allem harmonieren die beiden miteinander und ich freue mich darauf, Ende April und Ende Mai mit meiner besten Freundin als B-Kamera zwei Hochzeiten zu realisieren.
Vor genau zwei Jahren kapitulierte auch unsere Exekutive - am Freitag, dem 13. März 2020 schlossen die Schulen, drei Tage später der ganze Rest. Alles wurde anders und blieb es für lange.
Seit knapp einem Monat ist es quasi vorbei - ich muss auf meinen Reisen zwischen Zürich, Bern und Basel Maske tragen, finde aber immer mehr Kunden und Mitarbeiter in den Büros. Noch erlebe ich die Stimmungen in den Städten unterschiedlich: Die Zürcher verabschiedeten Corona mehrheitlich am Montagmorgen vor drei Wochen, in Bern herrscht noch grosse Panik, in Basel sehe ich beinahe ein Grabenkampf wie früher zwischen Klein- und Grossbasel. Als Verkäufer mit Fähigkeitsausweis konnte und kann ich die Erleichterung nachfühlen, die das Personal nach 16 Monaten gefilterter Luft und beschränkter Kommunkation erlebt - habe ich doch selbst noch immer Mühe damit, maskierten Menschen einzuschätzen und in meinem Filter nach „harmlos“ und „gehe ich aus dem Wege“ zu bewerten. Ein Verkaufsgespräch? Unvorstellbar. Zumindest für mich.
Das Plakat in Brugg begegnete mir auf einer meiner Reisen und ich fand es derart absurd, dass ich es mit meiner Kamera besuche. Damit's bald wieder ist wie's war.
Unsere Lieferketten sind noch lange nachhaltig durcheinander, an unsere neue Arbeitsweise müssen wir uns gewöhnen, die Personenfreizügigkeit steht auf wackeligen Füssen. Die Energiepreise explodieren, die Inflation rennt wie wild, unsere Mieten werden bald steigen und wir Ende Jahr hitzigen Lohndisussionen führen müssen. Wir sehen bald eine verlorene Generation in den Betrieben auftauchen, die Psychologen und Psychiater haben ellenlange Wartelisten, kaum jemand fühlt sich derzeit wohl in seiner Arbeitsstelle und alle Menschen in meinem Umfeld (inklusive mir selbst) sind mindestens 10 Jahre älter geworden. In Europa ist Krieg, der eiserne Vorhang wird gerade wieder aufgebaut, der rote Knopf war in den letzten 60 Jahren nie so nah bei den Grossen und Mächtigen wie jetzt.
Nein, 2019 war definitiv nicht so…
Ferien sind ein schwieriges Thema für mich. Um die Policy meines Arbeitgebers zu befriedigen, reichte ich im letzten Oktober drei Wochen ein - der Zeitraum Ende Januar / Anfangs Februar war die letzten Jahre eine gute Zeit zum Abschalten, die letzte solche Zeit 2 Jahre her. Nur ist dieses Jahr alles anders, die bekannte bald-ist-ende-jahr-torschlusspanik zog sich bis zum 24. Dezember und legte am 3. Januar gleich wieder los. Drei Wochen vor und 6-8 Wochen nach „Ferien“ ist einfach Chaos und ich frage mich immer, ob es das überhaupt wert ist. Und da ich im Januar doch ziemlich angeschlagen war und es nicht schaffte, einen Ersatz für mich aufzutreiben, dümpelten mittendrinn Arbeitstage. Ja, ich hätte sie bleiben lassen können - aber dann nicht mehr in den Spiegel gucken oder vor meine Kunden treten können.
Nichtsdestotrotz legte ich mir ein Programm zurecht: Menschen im Studio. Statt in Zugbillette und Hotelzimmer investiere ich in Studiolicht, setze mich intensiv mit Lichtformern und deren Wirkung bei Portraits auseinander. Was machen Reflektoren, Schirmchen, Softboxen oder eine Beauty Dish mit dem Menschen vor meiner Kamera?
Ich schaffe gar eine ISO Reihe am Limmatquai mit beiden Kameras, stiefle Presets zusammen, die meinem Geschmack betreffend Rauschreduktion entsprechen. Zwischendrinn mache ich einen Vergleich unter den 50ern in meiner Vitrine, suche nach einem Weg, ordentliche Makrobilder zu machen und finde ihn in einen Umkehrring. Und ich realisiere eine Strecke mit Digiknipse und Film - ziemlich frappant, das „gleiche“ Bild in unterschiedlicher Technik vor mir zu sehen.
Aber nicht nur das Technische, auch das Menschliche findet seinen Platz. Ich spüre gut, dass ich so langsam lerne, Regie zu führen - ein grosser Teil dieses Prozesses sind wohl die Fotostrecken mit mir selbst. Wie soll man bzw. frau vor die Kamera stehen? Welche Posen haben welche Wirkung?
Irgendwann, in einer schlaflosen Nacht, blinzelt der Mond durch mein Fenster. Und ich bekomme eine Anfrage zu einem Foto aus meinem Archiv und einen spontanen Einsatz als Ersatz für eine Hochzeitsreportage - beides spannende Momente, die dann aber doch im Sand verlaufen.
Nein, Ferien zum Erholen waren es keine. Aber es war unglaublich lehrreich und hat so richtig Spass gemacht!
Es ist eine der Nächte, in denen ich nicht wirklich Schlaf finde. Die letzten Wochen (oder besser Monate?) gibt es zwei bis drei solche wöchentlich und ich bin mir bewusst, dass es ein Zeichen fehlender Work-Life-Balance ist. Immerhin, das Adrenalin hält mich am Leben, auch in Tagen nach einer Nacht im Dämmerzustand.
Ich blicke aus dem Fenster, über der Langstrasse blinzelt der Mond. Kratze all meine himmelsmechanischen Erinnerungen zusammen und realisiere, dass er in Bälde hinter der Dachterasse über dem „Krokodil“ verschwinden wird. Es reicht, Stativ, Kamera und 500er Spiegel aufzustellen und mich mir der Herausforderung zu konfrontieren, dass diese Linse unmöglich herausfordernd zu fokussieren ist. Nicht lang und er taucht unter, in der Stunde danach bringe ich zwei Bilder in schön hin und kann mich nicht entscheiden, welches der Beiden nun das überzeugendere ist.
Erkenntnis dieser kalten Nacht: Die Erde mag eine Scheibe sein, der Mond ist aber auf jeden Fall eine Kugel. Ich bekomme entweder seinen Rand oder den Bauch scharf
Es ist einfach grässliches Huddelwetter. Ich bin froh um jede Dichtung in meiner Kamera, auch wenn ich sie nur kurz aus dem Rucksack nehme.
Aber das muss jetzt einfach sein - schliesslich lernte ich Nala, an diesem Wochenende vor 30 Jahren, genau hier im Winterthurer Schützenhaus kennen
Danke für diesen langen und intensiven Weg mit Dir, all diese Jahre miteinander, unsere gemeinsamen Projekte und Erlebnisse. Du bist und bleibst die Frau meines Lebens!
Mich erreicht eine Mail mitten aus der Karibik: Dein energievoller Neujahrswunsch an Beat wird am 1. und 2. Januar 2022 (17.00 Uhr bis 23.00 Uhr) auf das Grossmünster projiziert. Das lasse ich mir natürlich nicht nehmen, packe Kamera, Stativ und Fernauslöser ein und stelle mich ans Limmatquai. Es ist zwar saukalt, aber das ist im Winter glaubs so
Die EWZ haben einen Silvesterzaber Light eingefädelt, ein bekannter Lichtkünstler (seine nächste Destination soll das Taj Mahal sein) brachte sein Rudel grosser Projektoren mit und durchgefrorene EWZ Mitarbeiterinnen rähmeln 24x24cm(!) Dias in Glasrähmchen. Nach Zwingli, Zürifäscht Löwen, Herzchen und Schweizerkreuzchen kommen die Namen - Gewinne aus einem Wettbewerb, wie ich vor Ort erfahre - und ich bin für einmal froh, dass der Beat früh im Alphabet kommt.
Danke Nala, das war ein wunderbarer Spass!