Nicht alle meiner Bilder entstehen aus purem Spass - wenn ich schon die Kamera mit dabei habe, gibt es auch öfters Dokumentation. Ein Bild hilft oft, Sachverhalte zu vermitteln, die zu beschreiben nicht ganz so einfach sind. Diese Bilder zu machen helfen mir gleichzeitig, mich mit der Sache auseinanderzusetzen, sie aus den Augen eines Fremden zu sehen, ein bisschen Distanz zu gewinnen.
Ich will nach Hause. Dieser Satz, vielleicht ein bisschen trotzig geäussert, klingt in meinem Kopf nach. Nach erledigtem Tagewerk setze ich mich auf eine Bank über der Stadt, gucke in die blaue Stunde und sinniere darüber. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen, kenne sie wie keine Zweite. Die Menschen hier sprechen meine Sprache, ich kenne die Usanzen und Gesetze. Aber Zuhause? Nein. Ich bin hier nicht zuhause, eher Gast auf meiner langen Reise durchs Leben. Das Gefühl von Zuhause ist mir fremd, es ist nicht hier, es ist nicht dort. Vielleicht verbinden mich angenehme Erlebnisse mit einem Ort, verwandte und bekannte Menschen, die Möglichkeit Geld zu verdienen und zu überleben, eine Portion sozialer Sicherheit. Aber Zuhause, Heimat - das ist überall und nirgends.
Vermutlich bekam ich einen kleinen Knacks als junger Teenie, als ich ins Gästezimmer umzog. Draussen zu sein wurde meine Welt, ich fand das erste mal in mir meine Mitte. Die letzten Jahre voller intensiver Reisen durch halb Europa taten das ihrige, mich in mir zuhause zu fühlen und nicht auf einen Ort angewiesen zu sein, den ich als Zuhause sehe, spüre. Egal wo ich bin, ich bin in mir und damit zuhause.
Vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem ich nicht mehr gehen mag, nicht mehr für mich sorgen kann. Ich sehe mit guter Zuversicht diesem Tag entgegen - egal wo es sein mag, mit meiner Einstellung werde ich meinen Platz finden, mich von meinem bisherigen Leben und den damit verbundenen Orten lösen können. Statt einem trotzigen Ich will nach Hause werde ich mich freuen können, eine neue Station auf dem Weg meines Lebens kennenzulernen und sie auch geniessen zu können.
Manchmal spült mich mein Job an ziemlich schräge Orte, dieses Mal ist es die italienische Enklave Campione d'Italia. Anderthalb Stunden - ich könnte mich auf dem Schiff verkriechen, im Casino meinen Monatslohn verspielen oder mich in der Bar zollfrei vollaufen lassen - ich verbringe sie genussvoll mit einem Fotospaziergang.
Lange ist es her, dass ich das letzte Mal mit einer Kamera durch eine italienische Stadt spaziert bin. Ich geniesse die kleinen aber feinen Unterschiede zum nahe gelegenen Lugano und die vielen Farben neben der in Italien üblichen Natriumdampfbeleuchtung. Der Flecken ist steinreich, auch wenn die kürzlich gefallene Eurobindung unseres Franken arge Probleme bereitet und entsprechend quitschsauber. Das grosse Casino schmerzt irgendwie in diesem verträumten Dorf, die Immobilien sind nahezu unbezahlbar und bereits auf finanzkräftige Russen ausgerichtet.
Völlig platt purzle ich nach einem viel zu langen Tag aus dem Kongresszentrum in die frühe Dunkelheit von Lugano, den Kopf voller interessanter News aus den vergangenen 9 Monaten. Irgendwie spannend, manchmal passiert drei Jahre nichts, dann purzeln interessante Entwicklungen haufenweise vor meine Füsse.