Anfangs der 10er Jahre steckte ich in etwas, wovon ich heute weiss, dass es eine Dysthymie war. Ich fühlte mich unverstanden, alleine, selbst unter Menschen - die Option, etwas daran zu ändern, lag in ferner Zukunft. Meine erste Digiknipse reiste im Rucksack mit und ich spürte instinktiv, dass mir Bildermachen gut tun würde - doch viel zu oft fehlte die Energie für eine längere Fotostrecke. Die Idee vom Bild vom Tag, welche mich heute begleitet, entstand erst viel später.
Mehr aus Schabernack begann ich das Project Move. Ich stellte die Kamera auf Blendenautomatik, 1/8 Sekunde, hielt sie auf Hüfthöhe und schoss Bilder, ohne wirklich zu zielen. Auf dem Arbeitsweg, unterwegs zu Kunden, auf dem Weg zu Eltern und Bekannten - wann immer ich ein Ventil benötigte, um wieder Leben zu spüren. In gut zwei Jahren machte ich das 27 mal, schoss ein paar tausend Bilder. Ich mistete schon damals aus, überlegte mir, wie ich sie irgendwann präsentieren könnte. Dann kam die grosse Digiknipse, ein stürmisches Jahr, eine Auszeit und ich wandte mich anderen Herausforderungen zu.
14 Jahre sind seither vergangen, zwei sieben-Jahres-Zyklen. Während einem nassen Aprilabend krame ich die Bilder aus dem Archiv und lade sie zurück auf mein Notebook: 1003 sind es, ein Fotoprojekt ohne Anfang und Ende, definitiv das längste, das ich je machte. Es dauert einige Tage, die Bilderflut zu sichten, zu selektieren und abzurunden. Verschüttete Gefühle kommen hoch, ich sehe und spüre den Beat, wie er alleine unter Menschen wandelt, muss regelmässig die Arbeit weglegen und mich anderem zuwenden. Am ersten Mai nutze ich meinen Rückzug in meine Höhle, um das Projekt definitiv abzuschliessen - es Zeit für Neues!
Dieser April hat es in sich. Ich erlebe beinahe 30° und bisigen Schneesturm wenige Tage getrennt. Wen wunderts, wenn der Winter Böög vor lauter Wind nicht abgebrannt werden kann? Der erneute Kälteeinbruch erledigt (auch) mich, meine Energie schwankt zwischen übermotiviert und schlapp. Gleichzeitig wächst mir die Arbeit über den Kopf und ich frage mich gegen Ende des Monats, wie ich das packen soll.
Das 28-200 bleibt definitiv in meiner Sammlung. Es ist so unglaublich trashig wie kein anderes Glas in meiner Vitrine, ich jage regelmässig die Sonne und freue mich ab all den Flares und Ueberstrahlungen. Ein ganz privates Feuerwerk in meinem Sucher
Letzter Sonntag im April, es ist Pinhole Day! Auch wenn ich energiemässig komplett am Anschlag laufe - diese Tradition lasse ich mir nicht nehmen.
Mein Weg führt nach Luzern. Während ich technisch lausig vorbereitet bin, habe ich mir zumindest zum Motiv einige Gedanken gemacht. Ich kämpfe mich durch gazillionen fotografierender Touristen, ergattere mir ein geeignetes Plätzchen und ziehe das Bild durch. Unerwartet bietet das Verschwenken der Zoneplate eine spannende Möglichkeit, sowohl Brückengeländer als auch den Turm „scharf“ zu bekommen - angedacht war es, aber ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich funktioniert.
Auch dieses Jahr findet das Bild den Weg in die offizielle Galerie *freu*
Mein aktuelles Profilbild für die diversen Soziale Netze stammt aus dem Oktober '21. In der Zwischenzeit ist viel passiert, ich wurde selbstbewusster (fatalistischer?), aber auch älter (Falten, Bartlänge). Der Fotograf meines Vertrauens hat dieses Wochenende seine Stadtwohnung in ein Atelier umgebaut, gerade eben drei nicht ganz jugendfreie Strecken mit Diaprojektor, buntem Licht und Wasser durchgezogen - er offeriert mir eine Session. Es kann ja nicht sein, dass ich der Benutzung von Photoshop oder Instagram Filtern verdächtigt werde
Es geht in die Hosen. Die hochfrontale Beauty Dish ist zu steil, der Hintergrund entsprechend zu dunkel und der Reflektor auf meinen Knien nutzlos. Das Haarlich versemmele ich komplett, der kleine Metzblitz hinter mir verschwindet entweder spurlos oder ist zu hell. Gut, etwas Engelhaftes liegt darin, was eigentlich ganz gut zu meiner aktuellen Stimmung passt - aber als Profilbild? Wohl eher nicht. Viel mehr als die Beleuchtung ist aber der Gesichtsausdruck: Das Wohlwollende, das ich in meinen offiziellen Bildern zeigen möchte, fehlt. Ich bekomme Feedback in Form von verschlossen, verschlagen und schalkhaft - Attribute, die passen. Um dennoch etwas mitzunehmen, gibt es Schabernack. Immerhin, der gelingt
Auch wenn diese Strecke ein ordentlicher Fehlschlag wurde, sehe ich sie als eine gute Erfahrung. Sowohl die Lichtführung als auch die innere Einstellung müssen stimmen, möchte ich ein Bild für öffentliche Auftritte. Gerade die innere Einstellung ist etwas, was ich nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Modellen mehr berücksichtigen muss.
In meiner Lehre hatten wir immer ein, zwei Rollen Kodak Ektachrome EIR im Filmgestell. Generelle Empfehlung meiner Oberstiften und Mitarbeiter: Lass die Finger davon, es ist kompliziert. Was ich dann auch tat, das mit den schrägen Farben überzeugte mich nicht sonderlich.
In meinen Leseferien begegneten mir dann doch faszinierende Bilder und eine ordentliche Beschreibung, was der Kodak Aerochrome machte. Aus IR wird rot, aus rot grün, aus grün blau. Das kann mein nerdiges Denken annehmen So abgedreht, den Wärmefilter aus meiner Kamera nehmen (zu lassen), bin ich dann doch nicht, aber ein Hoya R72 findet den Weg zu mir.
Es braucht zwei Bilder, eines mit dem IR Filter, ein zweites mit einem Graufilter (der hilft, dass die Bilder passgenau werden). Das ideale Wetter dazu ist Frühling, möglichst windstill und mit Hodler Wölkchen. Ganz so perfekt ist es Anfangs April noch nicht, dennoch verbringe ich je zwei spannende Stunden im alten botanischen Garten und im Photoshop, um die Farbkanäle auszutauschen.
Mein Hirn verknotet sich dabei beinahe, bis ich eine Lösung finde und um sie danach auf die drei Bilder anzuwenden. Ein ersten Kanalmixer wähle die gewünschte Grundfarbe, Schwarzweiss bringt wieder alle drei Kanäle auf dieselben Werte, ein zweiter Kanalmixer limitiert den Layer auf die Zielfarbe. Die drei Layer addieren und das Falschfarbenbild steht.
Sowohl bei der Aufnahme als auch beim Postprocessing ist noch Luft nach oben, bei der Motivwahl sowieso. Spannend ist es, da bleibe ich dran!
Die ersten Frühlingsboten tauchen auf, Pollen kitzeln meine Nase und verkleben die Augen. Ich verwandle meine Energie in eine runde Woche Ueberzeit. Während sich der Monat entwickelt, staune ich über die Bilder - es sind zwar noch immer typische Beats, aber irgendwie doch anders. Details, bisweilen gar abstrakte Formen und Farben, finden den Weg in in meine Monatszusammenstellung.
Ich bekomme langsam Freude an dem Vintage Glas. Der Zoombereich ist einfach fantastisch, ich dringe nach einem Jahr leichtem Weitwinkel so langsam in die längeren Brennweiten vor, um auch kleinere Dinge gross abzubilden. Wäre so etwas generell wünschenswert? Jein. Vergleiche ich aktuelles Superzoom mit meiner aktuellen Universallinse, so ist trotz technischem Fortschritt und elektronischer Korrektur etwa dasselbe zu erwarten. Und ja, ich liebe die Flexibilität meines 24-105ers, sehe die Abstriche mittlerweile aber selbst bei kleinen Bildern. So wirklich glücklich wäre ich mit neuem Glas nicht wirklich, auch wenn es faszinierend wäre…