Sonntagnachmittag in München. Ich habe lange geschlafen, ausgiebig gefrühstückt und meinen Rucksack im Schliessfach deponiert. Das Wetter ist grandios und ich mache mich auf die Suche des Geisterbahnhofes Olympiazentrum - vergeblich. Nach zwei Stunden Suche unter der prallen Sonne holt mich eine Migräne ein, ich breche ab und kehre zurück in den Bahnhof. Nicht ohne ein paar Impressionen mitzunehmen.
Der nördliche Flügelbahnhof, in den 50ern ganz im Stile des Nationalsozialistischen Prunks neu erbaut, ist normalerweise ein Geisterbahnhof. Wenige Meter daneben pulsiert das Leben, laufen beinahe rund um die Uhr die grossen Umsätze. Die ehemalige Schalterhalle steht leer, vereinzelt liegt ein Penner in der Ecke, der Raum ist schummrig, kalt, riecht penetrant nach Pisse. Die Münchner machen einen Bogen darum, gehen lieber den längeren und engen Weg durch die Haupthalle.
Jetzt in der Ferienzeit sitzen die Touristen auf der Treppe. Sie wissen nichts davon, dass man da nicht ist. In der Ecke schlürfen ein paar Polizisten friedlich einen Kaffee. Obwohl ich sicher 30m weg stehe, um ein Bild der Fassade zu machen, versteckt sich eine Gruppe hinter Händen und Colaflaschen. Ich fühle mich als Eindringling in ihrer Privatsphäre und denke an die vielen Gesetze zur Ueberwachung der Bürger, die Deutschland in den letzten Jahren eingeführt hat.
Die Stammstrecke der S-Bahn ist das ganze Wochenende gesperrt, unvorstellbar für einen Zürcher. Ich suche mir einen Znacht im Bahnhof. Mit der dummen Birne in die Stadt zu gehen und danach nicht mehr zurückfahren zu können, ist definitiv keine Option. Die Entscheidung ist gut, kaum habe ich den letzten Bissen heruntergeschluckt, entlädt sich ein Riesengewitter. Es regnet selbst im Bahnhof und ich bin froh, nicht lange auf meinen Nachtzug in den Süden warten zu müssen.
Die Fahrt verläuft ruhig, ich habe spannende Mitreisende. Ein italienischer Gastarbeiter reist mit seinen beiden Söhnen nach Hause. Er hat versucht, ihnen einen guten Start ins Leben zu geben und sorgte für ein sauberes Deutsch, er selbst ist bei seinem Baustellenitalienisch geblieben. Seine Söhne sind jetzt nicht mehr Italiener, aber auch keine Deutschen - Secondos, die nirgends so richtig zuhause sind. In Rosenheim steigt eine junge Nonne zu, auf dem Weg zu einer Freundin. Sie fasziniert mich einmal mehr damit, dass sie furchtbar nervös über die Verspätung und die Reise ist. Was ist das für eine Religion, bei der selbst die professionellen Mitglieder nicht auf ihren Gott vertrauen?
Ich schlafe lang und tief. Egal was passiert, es wird richtig sein, davor Angst zu haben macht keinen Sinn. Wenn ich vor etwas Angst habe, dann höchstens davor, dass mit der Himmel auf den Kopf fällt.