Auch wenn ich mich seit einem Vierteljahrhundert als freischaffender Fotograf bezeichne - hey, klein Beat wollte unbedingt eine Kundennummer beim örtlichen Profilabor und flunkerte ein wenig - sehe ich mein Fotografieren ausschliesslich als Hobby. Davon zu leben stelle ich mir irgendwie als eine Art Hölle vor, in der ich nicht braten möchte. Und doch, manchmal mache auch ich Auftragsarbeiten.
Der Job hiess „Strasse fotografieren“. Ich konnte es nicht lassen und habe auch dafür die eine oder andere ungewohnte Perspektive eingefangen. So zumindest sehen Eure Schuhspitzen den Weg zu unserem Häuschen
Der wohl übelste Bahnhofsvorplatz der Schweiz, die Bilder vermitteln den trüben Blick in die beengte Weite - für einmal habe ich Euch nicht nur Fotos, sondern auch den dazugehörenden Soundtrack. Hey, der Kiosk hat keinen Kaffee, irgendetwas musste ich da tun
Der Vorplatz ist eingeklemmt zwischen der Bötzberglinie und der A3, kaum genug Platz für zwei kleine Postautos. Der Lärm der Autobahn ist trotz Schutzwand penetrant, nach zwei Minuten Warten fühle ich mich jeweils aggressiv, nach 20 Minuten total plemplem. Freundlicherweise passt hier der Fahrplan überhaupt nicht zu meiner Reiserichtung: 16 Minuten Wartezeit bei der Hin- und 59 Minuten bei der Rückreise, Abends noch eine zusätzliche dreiviertel Stunde in Zürich.
An solchen Tagen verstehe ich den Hass vieler OeV Benutzer auf die Autofahrer - und die Motivation vieler Autofahrer keinen OeV zu benutzen…
Ein Provisorium, dem Abbruch geweiht. Die letzten Jahre hat dieser Bahnhofsteil Platz geschaffen, bis der unterirdische Bahnhof Löwenstrasse fertig wird. In einem knappen Jahr werden hier die Bagger wüten, Raum schaffen für weitere Kaffeeketten, Modeboutiquen und Luxuswohnungen. Bin gespannt, was sich Herr SBB als nächstes einfallen lässt - 1991 war der letzte Ausbau, der aktuelle wird auch nicht lange dem wachsenden Verkehr standhalten.
Manche Stunde habe ich hier verbracht. Warten auf die S14 ins Zürcher Oberland, manchmal Abends ein paar Minuten Ruhe auf einem der Bänkchen. Die Stimmung ist so anders als in der Haupthalle, selbst an Weihnachten ein angenehmes „Business as usual“. Menschen auf der Reise von da nach dort, ganz wenige nervöse Pendler, Omis auf der Suche nach ihrem Gleis, orange und blaue Männchen und Weibchen in der Pause. Das Spuntino mit der türkischen Grossfamilie und dem feinen Kaffee werde ich definitiv vermissen, der nahe und meist freie Bankomat genauso wie das kostenlose Pissoir.
Nach den aufreibenden und fotolosen Wochen wollte ich mir etwas zugute kommen lassen. Eine Idee, die mich seit der letzten Fotokina verfolgt, mit 102° Diagonale eine wortwörtliche Erweiterung meines fotografischen Horizontes. Nach dem OK meiner Budgetberaterin *wink* war es schnell bestellt und in meinen Händen. Ich freue mich wie ein kleiner Junge
Die ersten Versuche - hmnunja - noch etwas davon entfernt, gute Bilder zu sein. Die grossen Kontraste, schief gehaltene Kamera und störende Dinge (inklusive mir selbst ) machen mir noch zu schaffen. Es wird noch ein paar Bilder brauchen bis ich ein Gefühl dafür habe, was die Linse „sieht“, bevor ich sie aus dem Rucksack packe. Aber hey, der Weg ist das Ziel und ein schwacher Start eine optimale Chance zu Verbesserungen
Am Wochenende reiht Herr SBB einen Bpm 51 am Schluss des Interregios von Chur nach Basel ein. Ich packe die Chance und mache etwas Experimentalfotografie durch die Fenster.
Ein Tag ohne Bilder ist ein verlorener Tag. Ueber den letzten Monat hatte ich viele verlorene Tage… Die wenigen Bilder, die ich machte, waren Dokumentation für mein Tagebuch - die meiste Zeit verbrachte ich in einem Spital und am Aufräumen und Entsorgen von fremden Erinnerungen, schaffte Platz für Leben. So langsam sehe ich den Horizont, das Licht am Ende des Tunnels.
Nach Jahren habe ich meinen Fahrausweis aus den Tiefen meines eigenen Krempels gefischt und bin am Steuer gesessen. Ein ganz anderes Gucken als beim Fotografieren, die Anstrengung hat mich doch ziemlich geschlaucht.
Es war Sommer, so richtig Sommer. Fünf Wochen schön und heiss! Auf dem Weg zwischen Büro, Obstalden und Zürich begegneten mir viele kleine Details, die ich ohne Kamera mitnahm. Im HB Zürich sass eine Taube auf dem Brunnenrand und trank Wasser. Im Sprinter eine junge Mutter, erzählte Sprössling eins aus einem Büchlein vor und packte für Sprössling zwei ihre Milchfabrik aus. Am Gleis drei im HB ein Pärchen, das sich regelmässig am Abend traf und lange miteinander schmuste - ganz verstohlen sitzte die etwas jüngere Blondine auf dem Schoss des etwas älteren Herrn und liess vermuten, dass er zuhause seine Verpflichtungen hätte. Auch in Obstalden war es heiss, eine Wespe sass auf dem einen Brunnenrohr und trank mit mir zusammen Wasser. In Näfels-Mollis eine Katze auf dem heissen Blechdach, verfolgte mich mit dem Blick einer erfahrenen Jägerin. In Rapperswil ein Rudel Spatzen auf der erfolglosen Jagt nach einer Libelle. Noch noch einmal ein junges Mami, das sich ungeniert vors AVEC in Näfels auf den Boden setzte und ihrem Sprössling die Brust gab.
Ein spezieller Sommer, an den ich mich wohl noch lange erinnern werde.
Geil, sie tut! Das Fräulein vom Stundenlabor guckte mich erst etwas schräg an, als ich einen Blick auf den frischentwickelten Film warf.
Als ich mich zu einer Vollformat Digiknipse entschied war mir gleichzeitig klar, dass ich ein zweites Gehäuse mit Film für die Linsen suchen wollte. Ich wurde in einem Occasionsfenster in Zürich schnell fündig. Ein rundes Jahr quälte ich mich mit dem Gedanken, endlich einen Testfilm zu machen und zu gucken, ob sie auch in Ordnung ist - am Sonntag konnte ich mich endlich durchringen. Kleine Premiere, das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit einer professionellen Kleinbildkamera unterwegs bin. EOS1, 4.0/24-105L, XP2 Super.
Das Gefühl einer 25 Jahre alten Kamera mit Film ist definitiv ein Anderes: Einerseits immer die Kosten im Hinterkopf, andererseits auch das Wissen, dass die Bilder gut sein sollten - ich bin nicht der Erste, der sie in den Händen halten wird und die übelsten Ausreisser spurlos verschwinden lassen kann
Ich bin restlos begeistert. Die Scans, naja, ist nicht mein Stil. Eine Spur zu viel Kontrast, ich mag mattes Papier in der Gradation „Spezial“. Die Negative einfach Hammer - kein Lichteinfall, Verschluss OK, Belichtungsmesser auch, Filmtransport präzise. Die Bilder werden ganz anders als mit Flatrate Digiknipse, nicht nur die Technik, auch das (kostenbewusste?) Gucken und Fotografieren zeigt seine Spuren.
Kleines Deja-Vu am Rande: Nach meinem letzen Film kam mein Vater ins Spital, dieses Mal meine Mutter. In den nächsten Tagen wird sich viel ändern in meinem Leben, ich hoffe dennoch für das eine oder andere Bild Zeit zu finden…