Seit Anfangs September stecke ich in einem grossen Projekt, das mich gedanklich mehr in Beschlag nimmt als mir gut tut - ich fühle mich an ein ähnliches in Heidelberg erinnert, welches mich auch über ein gutes Jahr überherausgefordert hat. Meine schon traditionelle Reise an die DevConf in Brno muss dem weichen, auch wenn ich dringendst Ferien nötig hätte.
Auf meinem Tisch liegt eine Einladung zu einem Workshop nach Walldorf, last Minute bekomme ich noch einen Termin in Nürnberg. Warum nicht beides mit einem Zwischenstopp in München kombinieren und die 10 Tage als „gefühlten Ferien“ verwenden?
Um 4:00 klingelt der Wecker. Mein Rucksack steht gepackt bereit, während ich einen bequemen Kilt um meinen Hintern wickle und durch das verschlafene Zürch zu meinem Zug gehe.
Vom Kondukteur erfahre ich, dass Herr DB alle Schweizertauglichen ICEs gleichzeitig in die Werkstatt geschickt hat - der Weg bis Basel verbringe ich daher in einem alten, engen und lauten EW II. Der Rest der Reise ist belanglos, die laufende Verbauung der Badischen Rheinebene mit Lärmschutzwänden sorgt dafür, dass es kaum noch etwas zu sehen gibt.
Schon der zweite Tag Workshop. Ich stelle viele dumme Fragen und lerne fleissig. Gegen den Abend ist mir klar, dass ich mit niemandem mehr plaudern möchte, und gucke auf die Karte: Mein aktueller Arbeits- und Schlafplatz befindet sich in einem bizarren Industriepark ganz in der Nähe des Bahnhofes Rot-Malsch, die beiden dazugehörenden Dörfer sind rund 3km westlich und östlich von ihm.
Ich gehe nach Osten, Richtung Malsch. Irgendwann stolpere ich über eine zerfallene Treppe, die nur am oberen Ende eine Bauabschrankung hat, gehe weiter den Berg hoch und staune ab den ersten Häusern. Alles still, mehrheitlich sind die Fenster dunkel, die Türen dicht verrammelt. Die dick eingezäunten bzw. eingemauerten Vorgärtchen sind jedoch in Vorstadtmanier gepützelt und hergerichtet - dann und wann scheint auch hier Leben zu herrschen.
Jetzt aber nicht. Von dem guten Dutzend Restaurants hier sind 2/3 geschlossen, nur eines hat einen Hinweis, dass sie erst im Frühlnig wieder öffnen. Die anderen machen lediglich Ausschank und nichts zu Essen - einer der Wirte schimpft über den Deutschen Staat, der nur Geld wolle und ihn nicht für seine Gäste kochen lasse. Bevor es tief politisch wird gehe ich zurück Richtung Industrie, ohne die wirtschaftliche Situation genauer verstanden zu haben.
Neben dem Hotel finde ich einen Tahiländer. Auch dieser komplett leer, die Dame am Tresen lässt mir freie Tischwahl, nimmt meine Bestellung entgegen, bruzzelt in der Küche und serviert mir ein ausgiebiges Menü - genau das Richtige nach 2 1/2 Stunden erfolgloser Futtersuche. Das letzte Mal erlebte ich so etwas vor ziemlich genau 10 Jahren, mitten in der Po Ebene.
Diesen Abend geht es Richtung Westen, nach Rot. Auch hier ein langes Stück Grün bis zum Dorf, das seit den 70ern genaugenommen St. Leon-Rot heisst. Neugierig gehe ich durch Rot hindurch, bestaune das nach der Fusion entstandene Dorfzentrum zwischen den alten St. Leon und Rot. Ein grosses Gemeindehaus, eine Sportanlage, Aldi, Lidl, DM - das übliche, was man neben der lauten Autobahn erwarten würde. Die A5 fährt hier mitten durchs Dorf, bei ihrer Eröffnung 1936 war der Verkehr sicher noch spärlich, Einsprachen gegen solche Bauprojekte wohl lebensgefährlich. Ich bin fasziniert, wie laut der Verkehr hier ist. Während die abseits liegende Bahn Lärmschutzwände bauen und leise Bremsklötze verwenden muss, führt die Autobahn nackt und lärmig mittendurch. Die Deutschen haben definitiv eine andere Einstellung zu ihren Autos - ich merke das auch gleich beim fehlenden Trottoir unter der Autobahn.
Während St. Leon denselben Eindruck wie Malsch hinterlässt, so finde ich in Rot reichlich Auswahl an Futterplätzen. Meine Wahl fällt auf einen Italiener, ich krame ein paar Brocken Italiensich hervor und bekomme ein vorzügliches Abendessen.
Auf dem Rückweg komme ich am grossen Golfplatz vorbei, der trotz fehlenden Spielern in Flutlicht getaucht dasteht. Sein finanzieller Boden kommt sichtlich von der SAP, fussläufig und mit grossem Parkplatz versehen kann hier die Teppichetage ihrem Sport frönen. Endlich weiss ich, wo bestimmte - mir als Techie bisher unverständliche - Verträge ausgehandelt wurden
Nach einem sehr techniklastigen Tag machen wir Workshopteilnehmer einen Ausflug nach Heidelberg, finden einen feinen Znacht mitten in der Stadt. Ich lasse sowohl Kamera als auch Handy im Rucksack und freue mich einfach so, zusammen mit einem Wiener und einer ausgewanderten Wallisserin uns über die Deutschen und ihre Staus zu wundern.
Es ist der letzte Workshop Tag, es gilt noch etwas aufzuräumen und dann zeitig Weiterreisen. Ich bin bereits augecheckt, habe meinen Rucksack dabei und bin immer noch 10 Minuten zu früh - eine gute Möglichkeit, von der Lampe auf dem Parkplatz ein ordentliches Foto zu machen.
Irgendwer hat vor längerer Zeit zwei der drei Strahler auf den Himmel gerichtet und niemand sich bisher die Mühe genommen, das zu flicken.
Nach den Erlebnissen während unserem Hands-On in den Tagen hier weiss ich, dass auch im Hausprodukt, das hier entsteht, noch ein paar Baustellen stecken. Ich hoffe, dass diese eher adressiert werden, als die Lampe auf dem Parkplatz…
Samstagmorgen in München. Ich habe herrlich geschlafen, plane einen Stadtbummel und einen Besuch in der Sauna in Erding - doch bevor ich los kann, muss ich erst den Lachanfall aus dem Lift loswerden. Muss man „die heutige Jugend“ tatsächlich vor selbstzerstörerischem Verhalten schützen?
An einem Winterwochenende in die Sauna ist etwas grenzwertig, es hat eine gefühlte Gazillion Besucher. Zum Glück bin ich recht Hitzeresistent: Ab 85° gibt es Liegeplätze, bei 100° gar eine Privatsauna Dafür ist die Anlage offen bis tief in die Nacht, ich kann mir Zeit lassen und döse auch prompt zwei mal für eine Stunde weg.
So mag ich einkaufen: In den Laden, mein Wunsch äussern, reinstehen, wohlfühlen, rausgehen. Und wenn das dann noch mit einem Gespräch und einer Umarmung von einer lieben Bekannten verbunden ist, dann ist das noch besser Vor mehr als 25 Jahren erwarb ich ein paar Standard Tanzschuhe in Lack, die ich einfach liebte - bis zum Umzug, wo ich sie mit einem eingenisteten Pilzchen entsorgen musste. Da ich dann und wann wieder zu Tanzen versuche, wollte ich gucken, ob es sie noch gibt. Und ja, die Briten schaffen es tatsächlich: Ein Produkt über mehr als ein Vierteljahrhundert unverändert herzustellen.
Auch dieser Sonntag ist Reisetag, es geht von München nach Nürnberg, mit dem schnellsten Nahverkehr der Welt. Der „Ruckelzug“ brettert mit 200 Sachen über die Neubaustrecke vor Nürnberg, die paar Minuten, die der ICE schneller wäre, machen den Preisunterschied nicht aus.
Ziemlich fertig von den vergangenen Tagen kippe ich am späteren Nachmittag ins Bett und vertage die angedachte Fotostrecke trotz strahlendem Wetter. Manchmal muss man Prioritäten setzen…
Es ist schweinekalt in Nürnberg, der kalte Wind pfeift mir am Abend um die Ohren. Ich schaffe es zwar, einen langen Abendspaziergang durch die Altstadt zur Burg zu machen und den Vollmond zu bestaunen (am Morgen war Mondfinsternis, jedoch der Himmel bedeckt), aber für Fotos reicht es nicht. Es ist zu kalt für die grosse Kamera (bzw. meine Finger, die sie bedienen sollten) und zu dunkel fürs Handy.
Ich muss noch einmal hierher, wenn es ein bisschen wärmer ist *bibber*
Abends beim Kunden rauspurzeln mit dem Gefühl, die geplante Arbeit nicht nur erledigt, sondern auch gut gemacht zu haben - dafür mache ich meinen Job.
Ich feire den Abend bei lokaler Küche und frage mich einmal mehr, wie die das machen: Gut und reichlich zu speisen für elf Euronen
Und gleich noch einmal Reisetag. Angedacht ist etwas Dokumentation zu schreiben, doch dann lerne ich, dass die Neigezüge der DB wieder funktionieren. Bevor mein Magen rebelliert klappe ich das Notebook beiseite und geniesse für den Rest der Strecke die Aussicht. Zwischen Augsburg und Lindau führt mich mein Zug durch tiefverschneite und strahlend sonnige Allgäu. Ich kann es nicht lassen und mache am Immensee eines der lausigen aus-dem-Zugfenster-Fotos:
In Feldkirch umsteigen, der Railjet kommt spät, bringt mich danach aber reibungslos durch Lichtenstein und dem Walensee entlang zurück nach Zürich.
Ich fühle mich nach diesen 10 Tagen definitiv besser und kann mit gutem Gewissen „die Einstellung macht den Urlaub“ sagen. Auch wenn ich mehrheitlich gearbeitet habe, so fühlten sich die Tage entspannend und motivierend an - genau das, was ich jetzt brauchte
Die Therme Erding steht bei mir auch auf der Liste der mal zu besuchenden Orte, seit ich letzten Herbst davon erfahren habe. Vielleicht nach dem VCFe. Mal sehen.