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Palm-Express

Das sterbende Blümchen am Dorfbrunnen von Obstalden war kein schlechtes Omen - meine ziemlich durchgeknallte Fahrt über Chur, die Albula, St. Moritz, die Maloja und Chiavenna nach Lugano war ein grossartiges Erlebnis. 8 Stunden Weg, jede Minute hat sich gelohnt! Ich lege mich im Belle Epoque Charme eine Stunde aufs Ohr, futtere etwas und mache trotz drohendem Gewitter einen Fotospaziergang. Ich bin nicht alleine, dutzende von Kameras, Telefone und Tablets säumen meinen Weg.

Vor dem Tor am See - ich kann mich nicht entscheiden, ob das jetzt Kunst, einen abgeschlossenen Anlegeplatz oder vielleicht ein Ort für Seebestattungen ist - sprechen mich noch zwei Mormonen an. Leider habe ich mich vor einiger Zeit intensiv mit ihrer Religion auseinandergesetzt, als ich eine später abgesagte Reise nach Salt Lake City plante. Irgendwann kommt das Gespräch auf meine Kamera, danach habe ich die beiden im Sack. Genauso das muslimische Pärchen im Hintergrund, die meinen Ausführungen lauschen und mich anschliessend fröhlich beim Fotografieren beobachten. Ich fühle mich mit keiner Kirche verbunden - meine Beschäftigung mit der Schönheit unserer Erde scheint jedoch ansteckend zu sein.

Zum Glück war ich etwas später unbeobachtet: Blümchen mit San Salvatore im Hintergrund funktioniert nur, wenn man am Boden liegt und die verrücktesten Verrenkungen anstellt ;-) Bevor die Tropfen kommen noch bei Maria Grazia vorbei - leider hat Herr Lugano das Grün gesperrt und ich trickse lange herum, bis der Bauschutt hinter ihren Beinen verschwindet. Das Mädchen ist ein schönes Beispiel der Imperfektion mancher Bronzefiguren: Etwas Bauch, Hintern, Haltungsschäden und einen grossartig unmotivierten Gesichtsausdruck.

Träume aus Glas

Die nächste Photokina in Köln ist noch weit, ich folge daher gerne dem Ruf der Canon Lens Road Show zum Prime Tower. Im Hinterkopf meinen Wunsch nach einer Portraitlinse - andere haben Träume aus Blech, meine sind aus Glas :-)

Etwas mit den Menschen vor Ort geplaudert, schnell ein Formular ausgefüllt und die ID hinterlassen. Ich bekomme einen Schutzdeckel für meine Linse und lasse mir erst das 28-300 geben. Eine „Universallinse“, weiss, roter Kringel, von allem ein Bisschen und - wie ich im Nachhinein sehen konnte - erstaunlich gut. Verdammt schwer und ziemlich toir - aber definitiv mein Glas, sollte ich jemals mit Reportagen Geld verdienen. Nur, das war mal am Rand, wirklich hier bin ich für das 1.2/85. Ich tausche um und bekomme nach längerer Suche ein ziemlich abgefucktes Exemplar.

Die Linse ist eine Herausforderung. Ich würde sogar sagen es uhuere Gniet. Gähnend langsamer Autofokus, elektrischer Manual Fokus, ein knapper Meter Minimalabstand. Als ob die Millimeterbruchteile grosse (kleine) Tiefenschärfe nicht schon herausfordernd genug ist, kommt ein Handling hinzu, das einen mehr fordert als unterstützt. Nach ein paar Experimenten mit ruhenden Objekten frage ich die versammelte Crew nach einem Modell. Ein blondes Mädchen wird mit dem Satz „das isch es Portraitobjektiv, de Maa hät scho rächt“ verdonnert und nach meiner Beteuerung, ihr Foto lande nicht im Netz, lächelt sie brav und hält auch einigermassen still ;-) Ich tausche das Glas zurück zu meiner ID und mache einen gemütlichen Spaziergang durch die Kreise 5 und 4.

Die Bilder: Hammer. Klar, endlos viel Ausschuss. Nach dem Fokussieren einen Millimeter nach vorn oder hinten runiniert die beste Komposition. Von dem blonden Mädchen ist eines von sieben Bildern überhaupt brauchbar. Aber das, was übrig bleibt, ist einfach nur geil.

Der Besuch hat sich gelohnt. Ich bin noch unschlüssiger als je zuvor 8-) Canon selbst hat zwei 85er, wobei nur das teure einen Gutschein für den CSP-Himmel mit sich bringt. Das Zeiss 1.4/85 hatte ich schon an einer Photokina beerdigt, von Hand scharfstellen ist mit modernen Kameras keine Freude - dasselbe Schicksal dürfte auch das Samyang 1.4/85 teilen, auch wenn dessen Preis unschlagbar ist. Bleibt noch das Sigma 1.4/85 und natürlich das Lomo x Zenit Petzval 2.2/85 - ich hoffe mal, dass ich die beiden im Herbst in Köln in die Hand bekomme. Träume sind ja oft schöner als deren Erfüllung :-)

Bessières

Lausanne ist ein dreidimensionales Objekt, am eindrucksvollsten kommt dies wohl an der Métrostation Bessières zum Vorschein: Der Zug ruckelt über eine Brücke zwischen zwei Tunnel in den Widerlagern einer alten und höheren Brücke. Hoffe unser Zeichner EFZ Änscheniörwesen hat Spass an der statisch nicht ganz anspruchslosen Lösung ;-)

Am Vorabend habe ich im Regen, ganz ohne Kamera unterwegs, die Altstadt von Lausanne entdeckt. Aktuell ist es trocken, ich fange von der Cathédrale einen Einblick auf das Häusermeer, den See und die untergehende Sonne ein. Viel mehr mag ich nicht mitnehmen, noch nie begleiteten derart viele gierige Blicke meine Kamera. In Zürich oder Genève lungern die dubiosen Gestalten in der abgefuckten Peripherie, in Lausanne sind sie wie in Paris in der touristisch attraktiven Altstadt…

Schizophren?

Kundenbesuch in Winti, ich warte auf den Zug nach München, der mich ein Stück weit nach Obstalden bringen wird. Ich höre Stimmen. Zu laut für Bahnhofsgespräche, zu undeutlich für Lautsprecheransagen. Sind SIE an diesem 23.5. gekommen, um mit mir zu sprechen? Waren die vielen Serverraumbesuche diese Woche zuviel für meine Psyche?

Nach dem ersten Schreck mache ich mich auf die Suche und finde über dem Mittelperron eine Hand voller Satellitenschüsseln mit Lautsprechern. Sporadisch fallen Sätze: Wie isch Winterthur zum Name Velostadt cho? oder Wo werdemer i 10 Jahr sii? Bi all dene Krise? und Was mached Tier wänns ganz still isch? Strubes Zeugs ohne Kontext :-)

Nachdem der erste Schreck vorbei ist, kommen die Gedanken. Ein Kunstprojekt als Antwort auf den Hafenkran? Ein alternativer Weg zu klassischer Musik, um die ungebetenen Gäste vom Bahnhof zu verscheuchen? Oder eine Installation im Rahmen der Verteilung von stillem Valserwasser vor dem Bahnhof?

Google hilft weiter. Es ist tatsächlich eine Kunstinstallation - Winterthur feiert 750 Jahre Stadtrecht.

Wide-Angle

Einmal mehr in Lausanne, für einmal ist die grosse Pyramide an der Esplanade des Cantons frei und ich kann das lange geplante Pano fabrizieren. Montage können auch gut sein.

Am Morgen früh tauschte ich noch kurz meine Standardlinse gegen das Weitwinkelzoom. Das Spiel mit der immensen Tiefe, die sporadisch auftauchenden Finger und Füsse sowie der grosse Kontrast sind Herausforderungen, denen ich mich heute stelle.

Das Mädchen am Strand ist gleich noch eine. Mit viel Adrenalin frage ich sie auf Französisch an, ob ich ein Bild mit ihr machen dürfte - als Antwort will sie gleich aufspringen und sich in Pose stellen. Mist, ich hätte vielleicht doch die Standardlinse einpacken sollen :-)

Üetliberg

Duschen, Rasieren, Abwaschen, Putzen, Einkaufen, Nachmittagsschlaf, Abendessen kochen und futtern. Die Verpflichtungen des heutigen Tages liegen hinter mir, ich fahre spontan auf den Zürcher Hausberg.

Muss wohl Anfangs der 90er gewesen sein, als ich das letzte Mal hier war. Mich empfängt ein neuer Bahnhof, massiv verbreitete Wege, ein neuer Aussichtsturm und Gaslampen, die zwischenzeitlich auf LED umgestellt wurden. Aber auch alte Bekannte wie das Karusell, auf dem ich schon als kleiner Beat Runden drehte, die Felsen aus Nagelfluh und der Planetenweg. Trotz klarem Himmel ist es saukalt, die Bise zieht durch meine Knochen und schüttelt den Turm, ich lasse die Kamera gut verpackt im Rucksack.

Ich fliehe bald vom Kulm, vertrieben von der Musik des Nachsächsileutens, gehe vorbei am Staffel, wo mich die Karte ab ihren Preisen erschauern lässt. Bei der ehemaligen Annaburg gucke ich nach der alten Skispungschanze - beides ist verschwunden, während bzw. kurz nach meinem letzten Besuch abgebrochen worden. Ich werde alt, erinnere mich an längst vergangene Dinge und staune über die neuen.

Noch ein Blick zurück, bevor ich den Weg ins Albisgüetli in Angriff nehme. Die untergehende Sonne blinzelt durch die Wolken, lässt die beiden Türme schwarz in den Himmel ragen. Ich war bestimmt nicht das letzte Mal auf dem Üezgi.


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