Anderthalb Stunden Verspätung hat mein Zug bereits, das Zugpersonal ist ziemlich nervös. Auf dem Weg zum Bistrowagen sehe ich auch warum - Schneesturm in den Wagenübergängen
Ist ja nicht so, dass es in Amerika nie schneien würde, überrascht werden sie trotzdem. Interessant ist der Weg, den die Leute gegen das weisse Zeugs einschlagen: Anstatt den Spalt mit dicken Gummiwülsten abzudichten lassen sie eine Abteiltür offen und heizen ein Bisschen mehr.
Im Bistrowagen schlürfe ich einen Kaffee, bin bald vom Personal umgeben. It's all about money and power schimpft der eine Conductor zum Anderen über die aktuelle politische Lage. und ich freue mich darüber, dass es auch Einheimische gibt, die mit ihrem Staat nicht zufrieden sind.
Ein Tag im Zug. Aufstehen und Frühstück im California Zephyr, zu Bett im Lakeshore Limited. Die dreieinhalb Stunden Verspätung in Chicago vermiesen meine angedachte Stadtbesichtigung - vielleicht gar nicht so übel, es pfeift ein eisiger Wind mit rund 10° minus *brrr*
Die Union Station besteht aus einem altehrwürdigen Gebäude, ganz in einem ähnlichen Stil wie das Grand Central in New York. Unterirdisch kommt man zu dem eigentlichen Bahnhof, genauer zwei stirnseitig aneinanderliegende Sackbahnhöfe. Interessantes Design und noch viel interessanterer Geruch - alle Gleise sind überdeckt und die Diesellokomotiven tuckern permanent vor sich hin.
Vergeblich suche ich eine Dusche, selbst das Abendessen fällt vor allem kohlehydrathaltig und fettig aus (habe im Ohr meine angehende Ernährungsberaterin Nala *wink*). Ich muss nach 24 Stunden Reise schon ziemlich mitgenommen aussehen und das Mädchen (im Alter von Beni *wink*), neben das ich mich setze, guckt mich ziemlich erschreckt an.
Letzter Halbtag der Supercomputing Conference - gleich um Mittag beginnt der Abbruch, das Wifi verschwindet als Erstes. Draussen hat es wie versprochen geschneit und es bläst ein eisiger Wind. Warum nicht ins Museum?
Die Leute in der Turiinfo erinnern sich an mich (*öhm*…) und ich verbringe einen vergnüglichen und nachdenklichen Nachmittag im Art Museum von Denver. Die letzte Arbeit von Keith Haring, zwei Serien mit Fotos von Chuck Forsman, Bilder aus dem Wilden Westen Ende dem 19. Jahrhundert, eine grössere Sammlung indianischer Kunst. Gerade letzteres sehr lohnenswert, die Amerikaner haben eine viel näherere Sicht auf diese Geschichte und der Kontrast zum Zürcher Indianermuseum fasziniert mich. Nach einem Teller Nudeln mit Tofu (solidarisch mit Maja *wink*) das grosse Warten auf den Zug.
Social Evening, weit jenseits der 1000 Leute sind zu verköstigen und zu animieren. Die Organisatoren haben das prima gepackt, mit uns einen Ausflug in eine Ausstellung mit technischem und naturwissenschaftlichem Krimskrams ähnlich dem Technorama unternommen.
In einer Ecke hängt eine Wärmebildkamera, mal eine ganz neue Sicht auf Beat
Mein morgendlicher Spaziergang von meiner Unterkunft ins Kongresszentrum von Denver. Morgen soll es Schneien, ich nehme mir eine halbe Stunde Zeit, um ein paar Impressionen einzufangen.
Die Taxifahrerin hatte am Samstagabend ziemlich Probleme damit, mich an der Kreuzung 22nd / Welton Street auszuladen, sei eine böse Gegend meinte Sie. Vor der Zimmertür meiner echt amerikanischen Unterkunft hängt ein schmiedeisernes Gitter. Im Haus des Hotels befindet sich ein Carunternehmen und sporadisch wartet eine Gruppe Mexikaner vor dem Eingang - die Zentralamerikaner scheinen derart rassistisch zu sein, dass ihnen eine Horde gewaltbereiter Jugendlicher oder eine Strasse voller Obdachloser mit langen Fingern weniger Bedenken gibt als eine friedliche Mexikanerfamilie. Hauptsache weisse Amerikaner, dann ist alles gut.
Aehnlich wie Frankfurt besteht das Zentrum aus einer Gruppe Hochhäuser, einige alte Kirchen aus der Goldgräberzeit sind übriggeblieben und in die moderne Architektur eingepfercht. Drumrum ist es amerikanisch, flach, endlose Strassen, zwielichtige Gestalten. In der 16th Street herrscht das Leben, im restlichen Downtown ist es mit Ausnahme von Kongressen und dem späten Morgen tot. Aus den Gullys leckt Dampf wie in New York, gleich neben der riesigen Bahnhofsbaustelle befindet sich eine grosse „Steam Factory“, welche die grossen Häuser beheizt. An jeder Ecke finden sich Parkplätze, wer kein Auto hat kann wenigstens Tram fahren.
Wie in anderen amerikanischen Budgetunterkünften ist das Handtuch mit dabei, Frühstück gibt es keines. Ich esse meinen Zmorgen in einem der unzähligen Starbucks. Mindestens zwei Dutzend sind mir schon begegnet, definitiv mehr als in der ganzen Schweiz.
Colorado gibt sich umweltbewusst, im ganzen Kongresszentrum stehen verschiedene Abfalleimer. Aehnlich zu Deutschland gibt es einen grossen Pott für rezyklierbares Material, der wohl von irgendjemandem sortiert werden muss. In den Kompost gehören faszinierenderweise selbst die Kaffeebecher, nicht aber deren Deckel. Der Restmüll wird Landfill genannt, mich gruselt es bei dem Wort - aber sie haben wohl noch genug Land, um es mit Müll zu füllen.
Fotos aus dem Zugfenster enden erfahrungsgemäss in einer Katastrophe - ich lasse es tunlichst bleiben und fange die Bilder in mir ein. Mitten in einem kleinen Schneesturm bleibt der Zug eine knappe Stunde stehen und ich mache wenigstens ein paar Fotos für die Pufferknutscher zuhause. SO sieht ein amerikanischer Zug aus
Mit dem Zug durch Amerika - im Juni war es einfach eine crazy idea. Jetzt ist es ein ganz grosses „Wow“, das Beste was ich in diesem Land je gemacht habe. Eine traumhafte Fahrt durch die unterschiedlichsten Gegenden von Amerika, Meer, Berge, Wüsten. Schafe mit Kringelhörner, Adler, wilde Truthähne. Grosse Städte, Wildwestdörfer, selbst eine Geisterstadt aus dem Goldrausch kommt vorbei. Ich bin umgeben von einer Menge ganz ähnlicher Spinner wie mich, wir verstehen uns prächtig. Das Essen ist gut, das Team im Zug bestens organisiert, mein Platz viermal so gross wie in einem CNL Sleeperette und ich schlafe herrlich.
Zum Abschluss der ersten Etappe einen Ausblick auf das nächtlich erleuchtete Denver hinab, darüber strahlt der Vollmond. Ich freue mich schon jetzt auf den „Rest“ meiner Zugreise!