3. Februar. Meine Inbox quillt über von Glückwünschen, mein Handy vibriert, mein Horoskop erzählt etwas von Bauchnabel der Welt. Ich sollte mich grossartig fühlen.
Die Migräne von gestern ist weg, nach einem durchgearbeiteten Monat habe ich mir einen Freitag genommen und mein Alter hat erbarmungslos zugeschlagen. Aus dem Bett gequält, auf dem Weg ins Büro ausgerutscht. Wenigstens nur mit körperlichen Schäden, der repariert sich von selbst. Viel Bürokratie, Aufreihen der Pendenzen der nächsten Wochen, alles sollte bereits fertig sein. Zu spät los, noch habe ich etwas Energie übrig um mein Leben umzukrempeln und vier Wände in Zürich zu suchen. Zwei Wohnungsbesichtigungen, ein langer Spaziergang durch Zürich West. Hässliche Gegend, made of Steel and Stone, passend zu meiner Stimmung. Kurz nach neun wieder zuhause, die üblichen 15 Stunden unterwegs gewesen. Allein in der Masse der Menschen.
Beni und Maja haben einen Kuchen gebacken und Nala viel Nervenstärke bewiesen. Mir kommen beinahe die Tränen, nicht zum ersten Mal heute, dieses Mal aus Freude. Danke!
Anfangs Woche habe ich das „Negativ“ von einem spontanen Bild auseinandergenommen. Das Resultat ist farbmetrisch korrekt und enthält die beinahe 12 Blenden Kontrastumfang der Szenerie - in meinen Augen ein „perfektes“ Bild. Zugegeben, es ist nicht sonderlich relevant, ich wage schon fast belanglos zu sagen
Ich höre sie schon, die Stimmen: Flau, schlabbrig und für die Tonne! Wir sind uns heutzutage nicht mehr gewohnt, Bilder zu sehen wie die Natur sich uns zeigt, sind erschlagen von der täglichen Flut von gepimpten Fotos. Na dann, machen wir halt mal die dunklen Stellen etwas heller, schrauben den Farbkontrast ein wenig höher und verschieben den Grundton ins Wärmere:
Lightroom und Photoshop gewohnte Fotografen würden sicherlich etwas anders schrauben, ich lasse es mal so stehen. Mir fehlt echt das Training
Dafür schicke das Original mal durch Perfect Effects, das ich diesen Monat eben kostenlos bekommen (oder vielleicht eher mit Erdulden von wöchentlichem Spam erkauft) habe:
Der Dynamic Contrast ist gerade bei Landschaftsfotografen sehr beliebt. Ein halbes Dutzend Klicks und das Foto ist gut, kann auch auf den typischerweise schlecht eingestellten Monitoren der Betrachter etwas hergeben.
Ende der Fahnenstange? Nö. Sehr trendy ist zur Zeit - vor allem bei Hochzeitsfotografen - weiche pastellartige Farben und Vignette:
Ich habe lange gebraucht, bis ich begriffen habe, warum sie das machen. Mein erster Gedanke war die Kunden wollen das so - dann der Einfall, dass man damit ganz viel Postprocessing vermeidet. Statt Lichter und Schatten individuell zu korrigieren und Pickel zu retouchieren, was bei einer Hochzeit mit 1000 Bildern schon mal ein paar Stunden braucht, schlabbert der zeitbewusste Fotograf einen solchen Preset über all seine Shots. Fertig!
Auch sehr beliebt ist die andere Richtung - knallig bunt, schon fast ins Surreale. Auch wieder mit Vignette, schliesslich will der Fotograf den Blick seines Betrachters auf das Wesentliche richten. Das Wesentliche fehlt hier zwar, aber ich habe die Belanglosigkeit dieses Bilders ja schon erwähnt
Auch hier lange Rätselraten nach dem Warum. Seit einer längeren Plauderei mit einem Farbmessprofi an der letzen Photokina weiss ich, dass Nikon lane Zeit ziemlich Mühe mit farbmetrisch korrekter Darstellung hatte. Erst die D800 liesse sich mit einem ICC Profil farbneutral einstellen. Die einfachste Lösung: Die intensiven Farben der Kamera noch etwas intensivieren, bis sie so bunt wie Kodak Gold Filme an einem Kindergeburtstag werden. Alles wird gut.
Zuletzt noch die Vintage Gemeinde, die den Lomo Stil verfolgt. Ein Klick und das Bild sieht so aus:
Ich mag Lomo, habe eine ihrer Plastiklinsen in meinem Sammelsurium. Und ich habe auch schon abgelaufene Filme benutzt, ziemlich genau mit obigen Resultat… Das Schöne daran, selbst ein lausiges Handyfoto kann so aufgepeppt werden. Der Erfolg von Instagram hat das bewiesen.
All diese Stile haben ihre Berechtigung und es liegt mir fern, sie zu kritisieren. Ganz nach meiner Filosofie, bei der Toleranz ein wichtiger Punkt ist, schätze ich die Arbeit Anderer - auch wenn der Stil nicht der Meinige ist. Coole Arbeit, gefällt mir überhaupt nicht sage ich mir in letzter Zeit ganz oft.
Was ist mein eigener Stil? Je mehr ich mich mit der Technik auseinandersetze, desto mehr Möglichkeiten sehe ich - desto mehr suche ich auch nach dem, was mir am ehesten zusagt. Ich kann mir erlauben, Dinge langsam anzugehen. Muss es auch, nebst dem Fotografieren ist die Computerei noch immer mein Hauptthema, das mich zu 120% auslastet… Zu Beginn liess ich die Kamera machen, relativ schnell stellte ich auf RAW um und korrigierte Fehlbelichtungen, holte manchmal etwas Lichter und Schatten. Vor einem Jahr wendete ich mich von den Adobe Farben ab und aktivierte standardmässig Geometriekorrekturen, seit anfang Monat benutze ich den Faithful Picture Style bzw. das Camera Faithful Profil in Lightroom. Etwas ISO abhängige Rauschreduktion und ein klitzekleines Bisschen Nachschärfen kommen hinzu. Meine Bilder sind bedeutend weniger „knackig“ (englisch „crispy“), kommen verhältnismässig weich und farbmässig korrekt daher und enthalten eine Unmenge an feiner Details. Mir gefällt dieser Stil, er erinnert mich an meine Fuji 400 Zeiten in der Hasselblad, ich bin manchmal furchtbar altmodisch. Und - das mag ich als fauler Mensch ganz besonders - ich muss nahezu keine manuellen Korrekturen vornehmen.
Ich bin schon einmal gespannt, wo mich die Reise weiter hinführt. Fürs erste habe ich genug am Computer gebastelt und spekuliere auf ein paar schöne Tage im Februar!
Was steckt in meinen Bildern? Die Frage liess sich nie mit den fertigen Fotos beantworten, schon während meiner Lehrzeit war der Griff zum Schalter unter dem Tisch, der Lupe und den Negativen tägliches Brot. Auch wenn ich mein Sammelsurium an Photoequipment massiv ausgemistet habe, steht noch immer ein Leuchtpult in meinem Büro und ich konnte unlängst Maja damit zeigen, was in ihren Bildern steckt.
Digitale Bilder sind nicht anders. Wir sehen normalerweise „gekochte“ (cooked) Fotos, ja selbst das Histogramm unserer Kamera lügt. Clipping heisst das hinter der Ecke lauernde Monster, das unsere Fotos kaputtmacht - der Moment, wenn die Grenzen der Zahlen erreicht sind und die weichen Kurven hart abgeschnitten werden. In Musikstücken macht es hässliche *plopps*, Bilder werden ziemlich übel.
Die Russen machen nicht nur Olympia, sondern schreiben auch Code. Die Jungs hinter der libraw, einem Port des Codes aus dcraw und die Basis aller OpenSource RAW Konverter, haben mit RawDigger ein Tool gebaut, das direkt auf das digitale „Negativ“ geht. Everything You Always Wanted to Know About Raw (But Were Afraid to Ask) schreiben sie auf ihrer Webseite und damit haben sie gar nicht so unrecht.
Ein gutes Beispiel ist das Bild von Planchy Anfangs Monat. Die Szenerie nutzt den gesamten Dynamikumfang meiner Kamera, ein paar Pixel sind zu dunkel, ein paar zu hell, das Bild ansonsten perfekt belichtet. Die Umsetzung klappt dank meiner Bastelei während dem letzten Homeoffice prima, das fertige Bild enthält alles, was im Negativ steckt. Und das ganz ohne HDR Verarbeitung
Ein paar Blicke in mein Archiv zeigen mir, dass meine Entscheidung zum Vollformat gar nicht so schlecht war und ich durchaus brauchbare Bilder fabriziere. Ich klappe viel zu spät, aber zufrieden mit mir und der Welt, ins Bett.
Bilder aus dem Zugfenster sind einfach nur Scheisse. Trotz dieser Erkenntnis versuche ich es dann und wann wieder
Die Stimmung am Rhein, zwischen Mainz und Koblenz, im Einschnitt durch das Schiefergebirge. Ich liebe diese Fahrt, sie dürfte der schönste Streckenteil Deutschlands sein. Mit etwas Glück bringt mich der EC7 nach Hause, der Morgen war mit einer „Stellwerkstörung“ - *hmmm* - „nicht ganz reibungslos“.
Es nieselt, ein eisiger Wind fegt durch die Strassen. Ich war schon länger nicht mehr hier, mir fallen subtile Veränderungen und gigantische Löcher auf. Für ein abbruchreifes Wohnhaus, die Rathaus Galerie - wohl das längste Einkaufszentrum, das mir je begegnet ist und das Erste, das sich mit Plastikblumen dekoriert - und ein Loch, auf dem letztes Mal noch ein Fotomotiv stand, packe ich meine Kamera aus.
Die Stadt ist mehr als pleite! Drei Milliarden Schulden sollen sich aufgetürmt haben, gute 5000 pro Nase. Das an einem Ort, an dem ich auswärts für 5-10 Euro vorzüglich essen kann… Am Wohnraum nagt der Zahn der Zeit, viele Geschäfte ausserhalb der Innenstadt sind leer, einzelne Strassenzüge Abends dunkel. Das Geld der Reichen und Schönen fliesst in gigantische Neubauten, gefüllt mit internationalen Kleider- und Fastfoodketten. Gerade am Sonntag haben die Bürger Essens einen Millionenkredit für die Messe bachab geschickt - ein zaghafter Versuch, mittels direkter Demokratie das Steuer ein bisschen zu drehen.
Lueg, de Chrugelimond! meint Beni. Recht hat er!